1. Werkstatt bildungsgeschichtliche DDR-Forschung

1. Werkstatt bildungsgeschichtliche DDR-Forschung

Organisatoren
Anna-Sophie Kruscha, Bergische Universität Wuppertal; Tilman Drope, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Leibniz Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
16.03.2023 - 17.03.2023
Von
Cäcilia v. Malotki, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Leibniz Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF), Berlin

Die 1. Werkstatt bildungsgeschichtlicher DDR-Forschung war von dem Anspruch seiner Hauptorganisatorin, Anna-Sophie Kruscha, getragen, für Promovierende im Feld der DDR-Bildungshistoriografie einen Raum zur kritischen Diskussion zu schaffen – einem Forschungsfeld, dass immer noch von mannigfaltigen Desideraten, vorschnellen historischen Urteilen, methodischer Unschärfe und persönlicher Betroffenheit geprägt scheint. Dass das Interesse an fachlich differenzierten Erkenntnissen zu Bildung und Erziehung im DDR-Kontext drängender denn je ist, zeigten nicht nur die zahlreichen Vorträge zu Promotionsprojekten und Publikationen, sondern auch die konstruktiven Diskussionen, die seit der Werkstatt fortgeführt werden konnten.

Dabei bildeten Fragen zu methodischen und thematischen Ansätzen der oral history einen ersten Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit. Bemerkenswert hierbei war, dass vor allem Erfahrungs- und Erinnerungsprozesse von Lehrkräften Gegenstand der Promotionsprojekte darstellten. FRANZISKA PIVA-SCHOLZ (Hildesheim), die zu Einflüssen des biografischen Erfahrungsrahmens der DDR auf Vorstellungen über die Relevanz von Leistung von Lehrenden arbeitet, stellte ausgewählte Analyseergebnisse aus Fallportraits vor, die sie in Anwendung des narrationsstrukturellen Verfahrens nach Fritz Schütze gewonnen hatte. Neben Spannungsfeldern in der Verbindung von zeitgeschichtlichen Fragestellungen und sozialwissenschaftlichen Methoden wurden Möglichkeiten und Ansprüche in der Rezeption spezifisch-ostdeutscher Erfahrungsräume kritisch hinterfragt. ADRIAN WEIß (Kassel), der zur Herausbildung eines ostdeutschen Lehrer:innenhabitus nach 1989 vor dem Hintergrund von bildungspolitischer Disruption und pädagogischer Kontinuität arbeitet, konnte anhand erster, aus Interviews abstrahierten Erzählungen zeigen, wie wandlungsfähig sich diese Räume im Spiegel fortschreitender Erinnerungsprozesse gestalten. Vielfältige Hinweise auf bildungsökonomische und institutionelle Krisen der von ihm angerissenen Transformationsgeschichte prägten das Nachgespräch. JAN-CARL STRACK (Darmstadt) befasst sich mit dem Zusammenhang von beruflicher Identität und dem Agieren in Protest-Kontexten. Er gab einen ersten Einblick in seinen Versuch, herauszuarbeiten, ob und wie berufliche Identität als Motor für Protest wirken kann und wie die „Protest-Biografie“ zurück auf berufliche Identität bezogen wird. Mit den Teilnehmenden der Werkstatt diskutierte er insbesondere die jeweiligen Vorteile einer möglichen zeitlichen sowie räumlich-milieuspezifischen Eingrenzung seiner Untersuchung.

Den weiteren Beiträgen war trotz der unterschiedlichsten Analyseformen und des verschiedenen Quellenmaterials die Frage nach grundlegenden wissensgeschichtlichen Bewegungen innerhalb der DDR-Pädagogik gemein. ANNA-SOPHIE KRUSCHAS (Wuppertal) Promotionsprojekt versteht sich als Beitrag einer Wissens- und Ideengeschichte der Pädagogik der DDR, die neben den inneren Konflikten zwischen Staatspädagogik und Theoriepluralismus auch nach einer differenzierten Einbettung erziehungswissenschaftlicher Arbeiten in Traditionen der europäischen Aufklärung und die Transformationsbewegungen des 20. Jahrhunderts fragt. Ihre Studie zur „Rehabilitierung“ der öffentlichen Erziehung nach 1945 in den Arbeiten von Robert Alt wurde auf begrifflicher Ebene in Abgrenzung zu „Restauration“ diskutiert. Insgesamt wurde als Anspruch formuliert, Quellenbegriffe, die der marxistisch-leninistischen Theorie entstammen, stärker historisierend zu betrachten und demnach mitgängig nach der jeweiligen Anbindung der Quellen an historische Diskurse zu fragen. Die begrifflichen und konzeptuellen Implikationen des Quellenmaterials prägten auch die Ausführungen von JESSICA DALLJO (Halle-Wittenberg) zu Spendenwerbungen in Kinderzeitschriften der DDR, die sich in dem von ihr entworfenen Spannungsfeld „Kommunizierte agency“ immer wieder mit wechselnden Ausprägungen von Vorstellungen zu Internationalismus, Solidarität und Anti-Imperialismus auseinandersetzt. Anhand vorgestellter Materialproben wurde über Narrative kindlicher Schonräume und ambivalenter Bürgerlichkeit diskutiert. NELE HERZOG und CÄCILIA V. MALOTKI (Berlin) nutzten die vielfältigen Forschungsperspektiven der Teilnehmer:innen der Werkstatt, um eine Datensitzung für eine geplante Publikation zur Entwicklung pädagogischer Psychologie in der DDR-Hochschullandschaft durchzuführen. Die gemeinsame Sichtung von audiovisuellen Aufnahmen, welche die Beobachtung eines Schülers im Fachunterricht der Polytechnischen Oberschule sowie ein exploratives Gespräch darstellen, führte zu einem engagierten Ringen um ein gemeinsames Verständnis und zur Reflexion notwendiger historischer Kontextuierung.

Die Diskussionen über die einzelnen Vortragsthemen wurden mit Einblicken in weitere nutzbare Quellen der DDR-Bildungsforschung verbunden. Die wissenschaftliche Bibliothekarin der BBF, Monika Mattes, und die Leiterin des BBF-Archivs, Bettina Reimers, stellten in Inputs die Bestände von Bibliotheksmagazinen, digitalen Sammlungen und Archiv vor und beantworteten detaillierte Rückfragen. Daran schlossen sich Führungen durch die BBF an, die in angeregte Gespräche aller Teilnehmer:innen der Werkstatt mündeten. In der Abschlussdiskussion der Werkstatt wurde ein fortgehender Austausch organisiert, in dem in kleineren Runden aktuelle Fachpublikationen und anstehende Veranstaltungen besprochen und der Fortgang der Promotionsprojekte begleitet werden. Die zweite Promotionswerkstatt findet vom 22. Februar bis zum 23. Februar 2024 in Berlin statt.

Konferenzübersicht:

Jessica Dalljo (Halle-Wittenberg): Kommunizierte agency. Spendenwerbungen in Kinderzeitschriften der DDR.
Franziska Piva-Scholz (Hildesheim): Zum Einfluss des biografischen Erfahrungsrahmens der DDR auf die biografische Leistungskonstruktion

Jan Carl Strack (Darmstadt): Beruf, Protest und Revolution. Eine Untersuchung zum Zusammenhang zwischen beruflicher Identität und Protest-Biografie

Cäcilia v. Malotki (Berlin) / Nele Herzog (Berlin) Videobasierte Technik und pädagogisch-psychologische Praktiken in der Lehrkraftbildung der DDR der 1970er Jahre - ein Einblick in Videomaterial.

Anna-Sophie Kruscha (Wuppertal): Das Ver-Rücken der Geschichte der Pädagogik nach 1945. Die Pädagogik der SBZ und DDR in der bildungsgeschichtlichen Tradition der europäischen Moderne.

Adrian Weiß (Kassel). Die Genese eines ostdeutschen Lehrer∗innenhabitus nach 1989 vor dem Hintergrund von bildungspolitischer Disruption und pädagogischer Kontinuität.

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